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20. Platz Gesamt (3. Platz in der AK40) beim Berliner Herbstwaldlauf /// & über den Läufer der Apokalypse

10:30 Uhr, Startschuss auf dem Sportplatz. Ich bahne mir meinen Weg nach vorne, überhole so lange, bis sich das Feld einpegelt. Die Topläufer sind längst über alle Berge. Beim Start dauert es fünf bis zehn Sekunden, dann sind sie weg und man sieht sie nie mehr. Gute Läufer*Innen gibt es bekanntlich überall, dennoch bin ich immer erstaunt, auf welch hohem Niveau in Berlin selbst bei so kleinen Wettkämpfen gelaufen wird. Die Bestplatzierten haben eine Pace weit unter 3:20 auf dem Tacho über die ganzen, anstehenden elf Kilometer, die Top 10 durchweg unter 3:50 und selbst bis zur Top 20 allesamt unter 4:00 – auf einem Trail-Lauf wohlgemerkt voller Auf- und Abs!

Ich bin irgendwo in der Selbstfindungsphase des Rennens, unter den ersten 50 vielleicht. Niemand findet sich mit seiner Position ab, Kräftemessen überall. Ein Läufer überholt mich, ich hänge mich dran, lasse mich ziehen durchs Niemandsland. Er macht Druck, ich bleibe dran. So lange, bis die nächste Gruppe ins Blickfeld rückt. Dann, es geht steil bergab, merke ich, dass er schwächelt und renne im Sprint bergab. Er lässt ab und ich schließe zur nächsten Gruppe auf, die einen schnelleren Rhythmus läuft. Darunter ein älterer Läufer mit grauen Haaren, an ihm bleibe ich dran. Bis K5 geht das so und ich beschließe, die ganze Gruppe zu überholen. Riskant, denn die sind alle gut drauf, und einige halten die Reserven für später bereit. Weiß ich, scheiß drauf!

Ich warte erneut ein steiles Gefälle ab und ziehe rapide vorbei. Als Pfälzer quasi auf dem Trail geboren, gehört diese Art der Bewältigung einer Auf- und Ab-Waldstrecke zu meinen Know-How’s. Langsam hoch, brutal runter. SO BRUTAL WIE ES GEHT! Der Puls ist niedrig und man kann sich im Sprint im Downhill erholen (trotz Sprint), wenn auch nur für einen Moment. Das zehrt natürlich an Kraft und die Läufer hinter mir schließen auch wieder etwas auf, aber nicht so stark, so dass ich mehr profitiere als sie und Geländegewinn habe. Auf diese Art und Weise kassiere ich einen nach dem anderen bis ich gefühlt weit in die Top 20 vorgedrungen bin. Ich weiß auch, dass sich das später umdreht, weil es immer welche gibt, die nach hinten raus Power mobilisieren können und mich wiederum kaltstellen werden, aber noch ist es nicht so weit. Ein Pokerspiel das alles.

Irgendwann um K7 rum kassiert mich der grauhaarige Läufer wieder. Ich bleibe dran, leiste Widerstand, das ist hart jetzt. Die Pace fällt ab, der Weg hat gezehrt. Ich drehe mich um, es nähern sich schon welche – Kampfmodus! Ich versuche zu lächeln, den Wald zu genießen, und mobilisiere alles! Ich ziehe an dem Grauhaarigen bergab vorbei, VERSUCHE IHN ZU BRECHEN, aber dann zieht er endgültig los und lässt mich stehen wie einen nassen Sack. Ich sage zu ihm: “Hut ab, gut gemacht!” Ich bin erledigt, der Widerstand ist gebrochen. WAS FÜR EIN GEILES RENNEN!

Jetzt heißt es verwalten, das Rennen heimbringen, 2K noch. Ein Läufer und die erste Frau ziehen vorbei. Bergab kriege ich sie nochmal, doch dann lassen auch sie mich stehen und richtig ran komme ich auch an die nicht mehr. Ich sehe hinten schon wieder einen kommen, doch das geht zu weit. Es schmerzt jetzt, aber was ich auch weiß, es schmerzt den hinter mir auch, und zwar genauso. Ich lege alles rein, bis er ablässt, Zug rausnimmt. Es geht darum, wer härter ist, wer mehr erträgt. Einlaufen auf die Bahn, er greift nochmal an, ich beiße noch mal und laufe schneller. Er lässt ab und ich gehe auf Position 20 mit einer 43:53 über die Linie, dritter in meiner Altersklasse. Nicht schlecht für 11 Kilometer auf dem Trail bei fast 500 Teilnehmern, finde ich. Ich bin zufrieden und hey, schneller wäre eh nicht gegangen.

Ich gehe zu dem grauhaarigen Läufer, der in der Beuge irgendwo rumsteht und sage: „Hey, da lässt du mich einfach stehen, gut gemacht!“ Er sagt: „Junge, ich bin fast 60, früher habe ich den Marathon in 2:20 gefinished!“ Wundern tut mich bei dem eh nichts mehr, traue mich aber nicht zu fragen, wer er ist. Stadtbekannt muss er sein, wenn er in dem Alter so gut ist. Nun ja, später finde ich heraus, dass das auch der Fall ist. Aber hey, da geht dieser Mann einfach hin und zieht mit knapp 60 Jahren so einen Lauf ab. Da steht er also leibhaftig vor mir – DER LÄUFER DER APOKALYPSE.

Da mache ich mich gerade bereit für das Foto auf dem Treppchen, auf dem ich verdientermaßen auf Position Drei gestanden hätte, bis die Durchsage kommt, dass es nun doch keine Siegerehrung geben wird. Irgendein Lotse hat irgendwo manche Läufer falsch geschickt, andere wiederum nicht. Irgendwas ist halt immer. Mir ist kalt und ich muss los. Wohin? Nach Hause, nochmal elf Kilometer!

2 Kommentare

    • MaSan

      Das war Burkhard Schikora. Ich habe mir sagen lassen, dass der sich früher immer mit einem Läufer namens Ingo Sensburg stets um den Sieg geprügelt hat. Habe mal nachgeschaut. Der gehört zum Beispiel zu den ewigen Siegern der “Säger-Serie” im Jahr 1989. Das sind drei Läufe, die man alle gewinnen muss bzw. die beste Gesamtzeit erzielen muss. Hat Kultstatus hier! Habe auch mal im Ergebnisarchiv des Berlin Marathons geschaut, das steht er zum Beispiel 1988 drin mit einer 2:27, und 1985, halt dich fest, mit einer 2:20:59. Das muss man sich mal vorstellen. Das sind nur 7 Minuten langsamer als Philipp Pflieger, einem Olympialäufer. Die ganze Haltung an dem, die Art, wie der an mir vorbei ist, ohne die Miene zu verziehen, das war einfach nur grandios. In dem Alter laufen andere im Wochentat zu Arzt mit irgendwelchen Wehwehchen.

      Liebe Grüße

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