
Alice Phoebe Lou – SHELTER
Zehn Jahre Berlin, oder waren es elf? Ist eigentlich egal. Jedenfalls habe ich in einer ziemlich interessantesten Zeit in einer der interessantesten Straßen Deutschlands gelebt, in der Bergmannstraße Ecke Mehringdamm. Das ist da, wo jeder hin will und weil das so ist, ändert sich dort dauernd alles. Zu meiner Zeit zum Beispiel gab es in den Souterains noch einen Antikhändler neben dem anderen. Ging man da rein, sah man die unglaublichsten Dinge und die abenteuerlichsten Typen. Die waren auch oben in den Kneipen, unterhielten sich über interessante Dinge und schienen immer alle Zeit der Welt zu haben. Schauspielern begegnete man dort täglich , einem Filmset nach dem anderen und in dem Plattenladen in der Zossener Straße konnte es sein, dass gerade Quentin Tarantino nach neuen Ideen in Vinyl suchte.
Was zu diesem Viertel ebenfalls dazugehörte waren die Straßenkünstler und allen voran die Musiker*Innen, die so gut waren bzw. sind, das gibt’s gar nicht. Unten im Vietnamesischen Restaurant San Viet beispielsweise, das es heute nicht mehr gibt, saß des Öfteren eine kleine, blonde Frau, eigentlich unscheinbar aber doch markant und außergewöhnlich schon allein durch die Kleidung dieser Art, wie man sich hier eben kleidet und man das andernorts nicht kann. Diese Frau kannte man hier, vom Tempelhofer Feld, vom Mauerpark oder sonst wo, denn es ist eine Straßenkünstlerin, die hier allgegenwärtig ist – ALICE PHOEBE LOU. Fing sie an zu spielen, dann gesellten sich nach zehn Minuten so viele Menschen um sie herum, dass man fast eine Turnhalle hätte füllen können.
Das lag in ersten Linie an der verrauchten, tiefen Stimme, die man diesem zierlichen Wesen NEVER EVER zugetraut hätte. Es lag aber auch an ihren Songs über das Leben selbst und die markanten Coverversionen wie Little Wing von Hendrix. Hörte man ihr zu, dann blieb die Welt stehen in diesem trubeligen Chaos namens Berlin.
Alice Phoebe Lou kommt aus Südafrika und lebt seit 2013 in Berlin. Sie ist eine Multiinstrumentalistin und für die Straße geboren. Angebote von Plattenlabels lehnte sie ab, ebenso die Anfrage von Typen wie James Blunt, ihm Rahmen dessen Europatournee aufzutreten. Die EP hier produzierte sie selbst, da sie keinerlei Interesse hat, ihre Musik kommerzialisieren zu lassen.
Hört man die Platte, hört man SHELTER, dann wird man verzaubert. Und auch wenn die Platte extrem gut ist, noch besser ist diese Frau Live auf der Straße Berlins. Wenn sie an der Warschauer Straße steht, die S-Bahnen vorbeirauschen und die Welt einfach stehen bleibt.
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