Im Herzen der See
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Nathaniel Philbrick: Im Herzen der See – Die letzte Fahrt des Walfängers Essex (Buchrezension)

Diese wahre Geschichte liefert Herman Melville die Grundlage für Moby-Dick.

November 1820. Zum ersten Mal in der Geschichte des Walfangs wird ein Schiff von einem riesigen Pottwal, normalerweise friedlicher Bewohner des Meeres, aus unerklärlichen Gründen versenkt. Mitten im Pazifik steht Kapitän George Pollard vor der schwersten Entscheidung seines Lebens. Soll er das südamerikanische Festland gegen den Wind ansteuern, oder sich in die unbekannten Weiten eines endlosen Ozeans wagen.

Nantucket
Zu der Zeit, als der Walfänger Essex unter dem Kommando von Kapitän George Pollard in See sticht, 1819, befindet sich das amerikanische Nantucket auf dem Höhepunkt seiner Glanzzeit und bildet das Zentrum des Walfangs weltweit. Die stolzen, reich gewordenen Bewohner dieser vor Boston gelegenen Insel bereisen mit dutzenden Schiffen die Weltmeere auf der Suche nach den ölreichen Pottwalen. Mit zunehmender Kommerzialisierung des Walfangs und damit einhergehender höherer Beute müssen immer weitere Strecken zurückgelegt werden. Die Reisen dauern oft drei Jahre und länger.

Unterwegs
Auf dem Weg zu den Azoren, dem ersten geplanten Zwischenstopp Pollards und seiner 20-köpfigen Crew, geschieht das erste Unglück. Das Schiff wird von einer Böe erfasst und schwer beschädigt, auch Rettungsboote werden zerstört. Doch der erste Offizier, Owen Chase, überredet den Kapitän zur Weiterfahrt. Die Reise führt die Besatzung in den südlichen Atlantik entlang der Ostküste Südamerikas, wo sie die ersten Wale finden. Nathaniel Philbrick beschreibt das blutige Handwerk der Walfänger bis ins Detail, vom Harpunieren der riesigen Tiere, über deren Zerlegung bis zum Verkochen des Walspecks zu dem kostbaren Öl: “There is a murderous appearance about the blood stained decks, and the huge masses of flesh and blubber lying here and there, and a ferocity in the looks oft he men, heightened by the red, fierce glare oft the fires.” Auch das Leben an Bord, die strengen Hierarchien sowie die Beweggründe der einzelnen Besatzungsmitglieder zum Antritt einer solchen Reise werden beschrieben.

Meer

Die Essex segelt schließlich um Kap Horn in den Südpazifik hinein und an der Westküste Südamerikas wieder hoch nach Norden. Die Fangsaison läuft für die Walfänger in den leergefischten Gewässern denkbar schlecht, und ein Kapitän namens George Swain prophezeit gar: “No other ship will ever fill with sperm oil in the South Seas. Some new place must be found where the whales are more numerous.” Pollard beschließt, den neuentdeckten Offshore Ground westlich der Galapagosinseln anzusteuern, dem Entdecker George Washington Gardners zufolge “an expanse of ocean full of sperm whales.“

Ein Wal wehrt sich
Dort angekommen, in den bis dato unbekannten Weiten des endlosen Pazifiks, kommt es zum Ereignis, das Herman Melville die Grundlage für Moby-Dick liefern wird. Zum ersten Mal in der Geschichte attackiert ein Wal seine Jäger. Der Großteil der Crew ist gerade mit Beibooten auf der Jagd, als Owen Chase, zurückgeblieben auf der Essex, einen riesigen Wal in unmittelbarer Nähe des Schiffs sichtet. Als wäre das nicht schon ungewöhnlich genug, verhält sich der ansonsten passive Riese des Ozeans äußerst aggressiv. Kurz darauf kommt es zum Angriff, und der fassungslose Kommandant realisiert, dass der Pottwal gerade dabei ist, mit seinem gewaltigen Schädel und mit voller Geschwindigkeit in die Front der Essex zu rammen.

Im endlosen Pazifik
Als die Beiboote, unter ihnen Kapitän Pollard, zurückkommen, bleibt nicht viel Zeit, aus dem schnell sinkenden Schiff Proviant zu bergen. Zudem können die nun Schiffbrüchigen aufgrund der zuvor zerstörten Rettungsboote nur wenig Lebensmittel mitnehmen. Nachdem sich die Seefahrer mit ihrem Schicksal abfinden, bestimmt Pollard, die westlich gelegenen Society Islands anzusteuern, die vom Wind begünstigt in einem Monat zu erreichen seien. Doch Owen Chase wiederspricht. Aus Angst vor Kannibalen und anderen Gefahren möchte er das viel weiter gelegene südamerikanische Festland ansteuern, gegen den Wind. Pollard stimmt zu, eine geschichtsträchtige, für andere später unbegreifliche Fehlentscheidung. Was nun folgt, ist das Unfassbare, ein Überlebenskampf der Mannschaft im erbarmungslos rauen Pazifik in den drei verbliebenen Rettungsboten. Es dauert nicht lange, und die Nahrung geht zu Neige. Am Ende schaffen es nur acht Männer, um über das Erlebte zu erzählen.

First they saw bones…
Nathaniel Philbrick erzählt die Geschichte der Essex anhand der Erinnerungen der Überlebenden und den Eindrücken derer, die die Schiffbrüchigen schließlich fanden: “First they saw bones – human bones… Then they saw the two men.“ Im Herzen der See gibt einen umfassenden Einblick in die Geschichte des Walfangs des neunzehnten Jahrhunderts. Auch werden Parallelen zu vergleichbaren Schiffsunglücken gezogen und auch wissenschaftliche Studien über das Überleben in Extremsituationen erwähnt. An Tatsachenberichten wie In eisige Höhen oder 3 Tassen Tee interessierte Leser werden an dieser Geschichte ganz bestimmt Gefallen finden. Ein höchst spannendes, informatives, aber auch schockierendes Buch das zeigt, wie weit der Mensch gehen kann.

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Ma San

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