
Trail du Grand Ballon – Bericht über meinen Ultra-Trail-Run in den Vogesen
Als ich mein kleines Zelt auf dem Campingplatz nahe des schönen Lac de la Kruth am Rande eines Bachlaufes aufschlage, wird es langsam kalt und ich bin froh, dass ich anders als geplant nicht oben auf Le Markstein auf 1.200 Metern übernachte. Das werde ich auch später merken, als ich mich in meinen Schlafsack kuschle, denn für noch kältere Temperaturen ist dieser wohl nicht ausgelegt. Ich entzünde die Flamme meines Gaskochers, fülle Wasser in den Topf und bereite die obligatorischen Spaghetti Napoli vor. Und während es blubbert lasse ich mich in meinen Campingstuhl nieder, lausche dem fließenden Wasser und schaue in die um mich herum steil aufregenden Berge. Morgen früh geht es da rein, mittenrein, für knappe 50 Kilometer und 2.500 Höhenmeter. Nach meinem DNF im letzten Jahr bei einem ähnlichen Rennen ist das mein zweiter Angriff auf einen Ultramarathon auf dem Trail. Bin ich nun bereit dafür? Bereit für meinen ersten offiziellen Ultra, der den Namen auch wirklich verdient?
Start auf Le Markstein
Um 5 Uhr klingelt mein Wecker. Ich knipse meine Stirnleuchte an, gähne und öffne den Zeltreißverschluss. Es ist stockdunkel draußen. Erst man das Wichtigste: Gaskocher an und Cafetera drauf. Währenddessen bestreiche ich mir – sitzend im Schlafsack – vier Toasts mit Marmelade und mixe in meiner Trinkflasche Wasser, L-Carnitin und Guaranapulver. Anschließend spüle mit der Mischung eine Ladung Amino-Kapseln und ein bisschen Natron runter. Eben so, wie ich es für einen Marathon machen würde. Mein ganzes Zeug zu packen dauert länger als gedacht und erst nach 6 Uhr rolle ich mit meinem kleinen Peugeot 206 die Serpentinen hoch. Hinter mir tauchen Leuchten auf – Läufer sicherlich, wer sonst fährt um diese Zeit da hoch? Oben auf Le Markstein auf 1.200 Metern ist es eiskalt, neblig und der Wind pfeift. Ich steige aus dem Auto und bin froh, mich für ein langes Outfit inklusive Handschuhe entschieden zu haben. Zu meiner Verwunderung laufen die meisten hier in kurzen Hosen und T-Shirts rum. Heftig finde ich das und deute das als Zeichen dieses Genres an Läufer*Innen und Läufern, die diese Art Events ihr zu Hause nennen. Wird wohl hart heute, denke ich. Ich klappe den Kofferraum auf und packe meinen Rucksack. Ersatzshirt- und Socken, Riegel, Gels und mixe meine drei mit Zucker vorgefüllten Soft-Flasks mit Apfelsaft, mein Gelersatz und für mich einfach besser verträglich. Meine Trinkblase mache ich nur viertelvoll als Notreserve, es gibt ja ein paar VP’s auf der Strecke. Dazu kommt noch das Sicherheitszeug: Rettungsdecke, Pfeife, Mullbinde, Regenponcho und Stirnleuchte. Ich schnalle mir das Ding über, klappe meine Laufstöcke aus und gehe den Berg hoch in Richtung Start.
Es geht los
Trail-Running ist groß in Frankreich. Da hier ist nur eine von vielen Veranstaltungen hier und erstreckt sich über das ganze Wochenende. An diesem Samstag werden 37, 50 und 70K gelaufen zu unterschiedlichen Zeiten. Die 70K-Typen sind schon weg und ich finde mich ein unter meiner Spezies wieder, 400 an der Zahl, wie ich später im Finisher-Tableau sehen werde. Es ist arschkalt, aber alle sind gut drauf. Im Läuferfeld ordne ich mich ganz hinten ein. Ein Fehler wie ich feststellen werde, oder auch nicht, wie man’s nimmt. Es kommt eine tolle Motivationsrede zu einem Song aus Braveheart, und dann geht es los auf den Trail. Die ersten 3K sind zäh wie Kaugummi und nachdem es relativ schnell auf den Singletrail geht, verlaufen diese im Gehtempo. Das ist diesen engen Türen geschuldet, durch die es über Viehwiesen geht, wo es sich enorm staut. Erst nach 5K bin wirklich fließend unterwegs und ziehe im 1.000-Meter-Downhill etwas Tempo an, um den Zeitverlust etwas reinzuholen.
Strecke und Höhenprofil
Mit Zeitverlust ist das ja so eine Sache bei so einem Lauf. Um ehrlich zu sein kann ich gar nicht einschätzen, wie lange ich unterwegs sein werde. Es könnten sieben Stunden sein, vielleicht acht, ich weiß es nicht genau. Die Route verläuft zunächst über den Marksteinkopf für ca. 7 Kilometer, dann über den Hundskopf und Storkenkopf nördlich des Grand Ballons. Nach einem Downhill auf 200 Meter ist die Strecke geprägt von vielen Auf- und Abs bis K 25. Man umrundet dabei den Grand Ballon im Uhrzeigersinn. Dann geht es von Süden aus wieder hoch auf 1.400 Meter, von wo aus abermals ein Downhill folgt auf unter 500 Meter bis K 40. Von dort aus geht es erneut in einen Uphill zurück auf Le Markstein auf 1.200 Meter. Insgesamt ist die Strecke also geprägt von zwei langen Abstiegen und zwei kräftigen Aufstiegen, der letzte davon zusammenhängend in einem Stück. VP’s gibt es alle ca. 10K, also vier Stück insgesamt.
Mein Training für diesen Lauf
Wie bewältigt man nun so einen Lauf ? Gute Frage! Natürlich habe ich darauf vorbereitet. Zunächst einmal liegt ein Marathontraining hinter mir, das sich durch den Winter zog. Zwar kam es nicht zum Marathon wegen Krankheit, aber das Training war im Kasten und damit mitunter einige 35K-Läufe auf Asphalt. Nun ist Asphalt aber nicht Trail. Im Anschluss an das Marathontraining verlegte ich meine Longruns also auf die Trails des Pfälzer Walds und dort sammelte ich Höhenmeter. Zu Beginn fielen mir schon 1.000 Höhenmeter schwer, doch es lief von Woche zu Woche besser. So weitete ich die Strecke sukzessive auf über 30K aus und die Höhenmeter auf ca. 1.800 Meter im finalen Longrun. Dort legte ich dann auch etwas Tempo rein, um ein Feeling für den Wettkampf zu bekommen. Solche Läufe sind dann auch schon extrem zeitaufwändig, für mich als Familienvater die größte Herausforderung. Mein Wecker klingelte an Samstagen um sechs Uhr, meinen Kaffee trank ich im Auto und noch in der Dunkelheit ging es in den Wald, wo ich der einzige Mensch unter Rehen war. Vier, teilweise viereinhalb Stunden war ich dann unterwegs. Letztlich kam ich aber nie auf die 80 Prozent der Wettkampfstrecke, wie ich es beim Marathon mache und ich muss ehrlich sagen, dass ich nach den finalen 32K und 1.800 Höhenmetern total durch war, vor allem die Beine. Ich wusste also nicht, was die 50K und die zusätzlichen 1.000 Höhenmeter mit mir machen würden.
Ich beginne wieder ganz von vorne
Mir ist von Beginn an bei diesem Renen klar, dass ich mein Marathonwissen nur bedingt einsetzen kann. Der Trail bei so einer Distanz ist etwas ganz anderes. Während ich einen Marathon von Beginn bis Ende durchplanen kann hinsichtlich allen Faktoren, ist das hier nicht möglich. Es gibt hier Up- und Downhills, die etwas mit dem Puls machen, also alles andere sind als konstant. Die Downhills sind mal trocken, mal matschig und rutschig, mal ganz schmal und technisch, mal breit und leicht laufbar. Sind diese steil, gehen diese enorm auf die Muskulatur. Und dann die Uphills, die von sukzessive ansteigend bis extrem steil reichen. Mal kann man diese laufen, mal gehe ich diese unterstützt mit meinen Laufstöcken. Diese benutze ich im Übrigen auch im Downhill, was nicht viele machen. Da der Weg jedoch oft rutschig ist, ertaste ich mir den Weg etwas damit und beuge Stürzen vor, zu denen es am Ende dann doch zwei Mal kommt. Kurz: ich laufe diesen Trail im Prinzip total intuitiv, weil mir schlichtweg die Erfahrung fehlt. An den VP’s lange ich dann richtig zu, weil für mich logisch ist, dass man hier essen muss was geht. Das fällt mir sehr schwer mit meinem empfindlichen Magen.
Als das Rennen dann so ab K35 hart wird, bin ich im Läuferfeld gut vorne, lasse dann aber richtig Federn. Zu diesem Zeitpunkt ist mein Magen gedemütigt und meine Beine sind am Arsch. Und auf dem Tacho stehen noch 15K und 1.000 Höhenmeter an. Und so ziehen peu à peu die Läufer*Innen an mir vorbei, das Feld dreht sich um. An mir laufen Leute vorbei, teilweise 70K-Läufer, die ich im Alltag nicht als Athleten wahrnehmen würde. Auf den Marathon sicherlich nicht erfolgreich, sind diese extrem gut auf Langdistanzen geeicht. Zähigkeit, mentale Stärke, Geduld, sicherlich Ernährung werden jetzt die dominierenden Themen und das bringt Leute nach vorne, die im Straßenlauf hinten wären. Das ist eine andere Welt und ich bin neu darin. Ich muss lernen wie das geht und dazu gehört diese Lehrstunde, gehört Lehrgeld. Das ist nicht überraschend, das ist völlig klar. Das macht mir nichts aus und deshalb bin ich hier, Ankommen ist das Einzige was für mich zählt an diesem Tag und ankommen werde ich, auch wenn es mir gerade wirklich nicht gut geht.
Die letzten 15K kämpfe ich mich den Berg hoch, gehe mehr als ich laufe und versuche so viel wie möglich in die Arme und die Laufstöcke zu verlagern und weniger in die Beine, die völlig durch sind. Oft bleibe ich stehen in der Hitze, die in Form der brennenden Sonne über uns im krassen Kontrast steht zum Start bei wenigen Grad heute morgen. Und hey, nach knapp über sieben Stunden komme ich ins Ziel, kann die letzten 4K sogar noch etwas laufen. „Courage“ ruft mir ein Junge zu auf der letzten Anhöhe, und dann laufe ich ins Ziel. Ich bin kaputt ja, aber mir geht es gut. Mir ist nicht schwindelig und mir ist nicht schlecht, immerhin. Als ich im kleinen Finisherzelt dabei bin, alles zu essen was irgendwo herum lieht, spricht mich ein Franzose an.
Als einziger Deutscher im Lauffeld und als solcher adressiert bei der Zielansprache falle ich etwas auf und der Läufer fragt mich, woher genau ich käme und wie ich auf den Lauf aufmerksam wurde. Wir unterhalten uns eine ganze Weile und er erzählt mir über die große Beliebtheit dieses Sports in Frankreich und die vielen Rennen, die es hier gibt. Für ihn war das nur eine Trainingseinheit für einen 90K-Lauf, den er demnächst am Mont Blanc machen wird. Krass, einfach krass! Alle hier sind einfach heftig drauf und wie zur Hölle die Läufer ganz vorne es schaffen, zweieinhalb Stunden vor mir bei so einer Strecke ins Ziel zu kommen, bleibt mir rätzelhaft.
Letztlich wird mir aber auch klar, dass es bei solchen Läufen wirklich extrem auf die eigene, innere Einstellung ankommt. Das ist das Allerwichtigste. Ich muss mich auf die Strecke einlassen und einfach die Zeit und die Entspanntheit mitbringen. Ich denke, dass Stand jetzt auch 20K mehr drin wären. Wenn du 20K laufen kannst, dann gehen auch 30, und wenn die 50 laufen kannst, dann gehen auch 60 oder 70.
Und dann muss man am Training, der Technik und ganz wichtig, an der Ernährung feilen. Genau das sagt mir mein französischer Kollege. Beim Trailrunning dieser Art komme es darauf an, sehr langsam zu starten, extrem viel zu essen und die Downhills ganz entspannt zu laufen ohne zu verkrampfen. Verkrampft man und läuft Stil-mäßig schlecht, zerschießt es die Muskeln und die Kraft fehlt Uphill. In all diesen Punkten kann ich mich als verbessern und werde das auch. Aber heute ist das alles egal. Ich freue mich, Neuland betreten zu haben, etwas anderes zu beginnen, wo ich noch völlig grün hinter den Ohren bin. Die vielen Marathons wurden bei mir irgendwo zur Routine und Wiederholung. Keine Angst, Marathon wird nach wie vor mein Metier sein (-; . In diesen Trailrun ging ich mit weniger Trainingsdisziplin, mehr intuitiv und mit viel Freude. Einfach ohne Plan und mit viel Lust und Laune. Und das nächste Ziel im Trailhimmel, es steht, und das ganz große Ziel auch, und es erfüllt mich mit Freude.
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Ein Kommentar
Oliver
Herzlichen Glückwunsch zum erfolgreichen Ultra-Debüt bei einer richtig schönen Veranstaltung!
Du hast alles richtig angegangen und das allerallerallerwichtigste ist dir bereits bewusst und steht zum Schluss: es kommt auf die innere Einstellung an.
Ultra läuft man überwiegend mit dem Kopf, je länger die Distanz wird, desto mehr. Auf die Strecke einlassen, nicht über die Zeit nachdenken, Etappen visualisieren und alles wird gut.
Was Trink- und Ernährungsstrategie unterwegs angeht, ganz ehrlich, da ist jeder komplett anders. Ich zum Beispiel muss unheimlich viel trinken aber esse so gut wie nichts auf langen Distanzen (ab und zu ein Gel und vielleicht mal ne Salzkartoffel). Ich geh sogar nüchtern an den Start (meine goldene Regel: mind. 6 Stunden vor einem Rennen nix mehr essen). Aber ich “tanke” die Tage vorher Kalorien wie ein Berserker, bin ständig am futtern 🙂 Lass dich nicht verrückt machen von Typen die sich unterwegs Kaffee und Pizza reinziehen und darauf schwören, jeder findet seine ganz eigene Strategie.
Und ja klar, wenn 50 gehen, dann auch 70 und mehr. Die ersten Kilometer langsam angehen, in den Trott finden und dann macht der Kopf fast alles. Der Körper kann viel mehr als wir glauben, das muss der Kopf “einfach nur” kapieren.
Bleib locker bei solchen Rennen und hab einfach Spaß 🙂