Reinhold Messner
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Südtirol: Ein Abend mit Reinhold Messner am Lagerfeuer

Auf einmal steht Reinhold Messner direkt vor mir. Da er sich gerade mit jemandem unterhält, setze ich das, was ich mir insgeheim ausgemalt habe, nicht in die Tat um. In meinem Rucksack habe ich sein Buch  “Rettet die Berge” und habe mir auf der Zugfahrt von Meran nach Bozen irgendwie ausgemalt, wie ich dem Mann der Berge begegne, wir ein paar Worte wechseln und er mir dieses Buch signiert. Jetzt hätte ich tatsächlich die Chance dazu und bin völlig überrascht. Ich beschließe aber wie gesagt, ihn nicht anzusprechen, seine Unterhaltung nicht zu stören, und auf mein Autogramm zu verzichten. Es wäre unwürdig gewesen und respektlos diesem überlebensgroßen Menschen gegenüber. Und außerdem: Was ist schon ein Autogramm gegenüber der Atmosphäre dieses außergewöhnlichen Ortes, an dem ich mich gerade befinde, das über Bozen liegende Schloss Sigmundskron, das Messner mit seinem MESSNER MOUNTAIN MUSEUM zu neuem Leben erweckt hat. Hier weht eine tibetische Gebets-Fahne im Wind, dort wird mit anbrechender Dämmerung ein riesiger, weißer Bergkristall beleuchtet. Wie alt mag der sein, ich vermag es nicht zu sagen, hunderttausende, Millionen Jahre alt? Das hier ist kein typisches Museum, sondern ein Ort, der Geschichten erzählt, über diesen Ort selbst, über das Bergsteigen, über Reinhold Messner. Und so verbringe ich meine Zeit damit, den Turm hochzusteigen, in die Burg hinein zu gehen und schließlich hinauf auf die Burgmauer, während über mir ein Stern nach dem anderen zu funkeln beginnt. Nach etwa zwei Stunden begebe ich mich hinunter auf die große Hofwiese, wo bereits viele  Menschen ihre Decken ausgebreitet haben, gruppiert um eine Bühne herum, auf der gerade ein Feuer entzündet wird. Ich geselle mich dazu, schlage mein unsigniertes Büchlein auf uns lese etwas darin. Und dann ist er plötzlich da, Reinhold Messner, neben dem Feuer vor dieser riesigen Burgmauer, und beginnt zu erzählen.

Wie es denn genau gewesen war, fragt das Mädchen Reinhold Messner, als er den Yeti traf? Dieser holt tief Luft und erzählt dann eine der, wie er sagt, aufregendsten Geschichten seines Lebens. Er watet diesen Fluss durch, völlig erschöpft nach Wochen unterwegs sein, und als er aufblickt, da steht es da, dieses Ungeheuer, sieht ihn an, dreht sich um und verschwindet. Völlig entkräftet landet er schließlich in einem tibetischen, scheinbar menschenleeren Dorf, wo er sich in einem Dachboden niederlegt und sofort einschläft, um mitten in der Nacht geweckt zu werden von einer Fackeln tragenden Horde, die ihn lynchen will. Es ist eine unglaubliche Geschichte, unfassbar spannend und wer hier sitzt, auf dieser Wiese an diesem Ort vor diesem Feuer und diesem Mann, der hegt noch keine Sekunde Zweifel daran, dass jede Silbe zu einhundert Prozent wahr ist.

Messner ist gut gelaunt an diesem Abend, denn er habe heute zwei Exponate erhalten und wisse schon genau, wo diese ihren Platz finden würden. Die gute Laune merkt man ihm an, denn neben der ganzen Spannung kann Messner auch ungemein lustig sein, ja, gar sich selbst auf die Schippe nehmen. Was denn das Aufregendste gewesen sei, fragt eine andere Frau, und Messner spricht vom Nanga Parbat und jener Expedition, aus der sein Bruder nie zurückkehrte. Er holt weit aus und umreist diese wie andere Geschehnisse mit alpiner Geschichte und seiner Haltung dazu. In die Berge zu gehen bedeute immer Risiko, ausgeliefert sein im steten Bewusstsein, dass man umkommen könnte. Dieses Umkommen, sterben können ist essentiell für ihn und taucht öfter auf an diesem Abend. Und wer Messner etwas kennt aus seinen Erzählungen oder einem seiner Bücher, ja der weiß um seine Haltung über den Alpinismus, wie er diesen versteht und verteidigt. Dieser habe nichts zu tun mit den Horden Vergnügungssüchtiger, die heute in Massen in die Berge strömen und genau das zerstören, das sie eigentlichen suchen: Abgeschiedenheit, Ruhe, ausgeliefert sein, Risiko. Nein, diese Masse erlebe die Berge nur noch als Postkartenkulisse und das Risiko nur unter maximaler Absicherung, stets bedacht auf Leistung und Prestige. Über diesen Konflikt, der die Berge bedroht, redet er viel, füllt gar dieses ganze Buch, das ich am heutigen Abend in meiner Tasche trage und mich zu Nachdenken anregt. Über mich selbst, über meinen Umgang mit den Bergen. Er sagt, das sei sein Thema heute. Ein Blatt vor den Mund nimmt er nicht. Auf jene, die mit ihren Autos die Passstraßen verstopfen und diesen Irrsinn als Bergerlebnis betrachten, ist er überhaupt nicht gut zu sprechen und lässt auch jene, die heute hier sitzen und genau das praktizieren, richtig auflaufen. Messner eben, wie man ihn kennt manchmal.

Themen hatte Messner viele in seinem Leben und die Kunst sei es, so sagt er am Feuer, stets zu wissen, wenn die Zeit vorbei vorbei sei. Aus dem Kletterer Messner wurde der Bergsteiger, aus diesem ein Überquerer der horizontalen Extremflächen, aus diesem ein Politiker, daraus wiederum ein Museumsbetreiber und Filmemacher. Messer hat sich stets neu erfunden. Wer unrealistischen Träumen nachgehe, sagt er, sei dumm. Da ist vieles, was man lernen kann von ihm. Es komme darauf an, Dinge zu wagen im Leben, auch wenn es das Risiko mitbringe, zu scheitern. Aus dem Scheitern habe er stets mehr gelernt als aus Erfolgen. Ausschließlich die Tat ist es, die Messner interessiert, nicht die Idee. Es gebe im Leben kein gestern und morgen, sondern nur das heute, das geprägt sein sollte von der Tat, vom Wagnis, vom Handeln.

Ob er religiös sei, fragt einer. Nein, das sei er nicht. Religion sei eine Lebenshilfe und er habe nichts dagegen. Aber Religion sei, egal welche, frei erfunden. Ich finde es außerordentlich mutig, das so zu sagen und weiß, Messner ist einer, der das genauso dem Papst persönlich sagen würde, genau so. Dieser Mann ist kein Fähnchen im Wind, sondern hat eine Haltung und ich fände es toll, wenn er immer noch Politiker wäre, wenn allgemein Menschen wie er Politiker wären. Es werden noch viele Fragen wie diese gestellt am heutigen Abend, so möchte es Messner haben. Es ist ein Gespräch am Lagerfeuer, das lebt vom Gegenüber und nicht von einem Thema, das er als Alleinsprecher abhandelt. Das ist das Besondere an diesen “Gesprächen am Lagerfeuer”, die man jeden Dienstag im August auf Schloss Sigmundskron erleben kann. Nach eineinhalb Stunden ist Schluss. Er müsse leider früh aufstehen morgen und habe keine Zeit für Signaturen. Das war es dann endgültig mit meinem Buch. Die Leute stehen auf und gehen zu ihren Autos, ich nicht. Ich ziehe meine Laufsachen an, setze, meine Stirnlampe auf und setze mich in Bewegung. Ich bin ohne Auto da, ohne Auto in Südtirol, und habe 25 Kilometer Lauf nach Meran vor mir. Als Marathoni kein Problem für mich, und dieser Abend war die Anstrengung in jeder Hinsicht wert. Messer ist eine lebende Legende, ein überlebensgroßer Mensch in meinen Augen, der so viel gemacht, erreicht hat,…. es ist kaum zu fassen. Aber hey, wenn Messer fast 9.000  Meter aufsteigen kann, dann werde ich schließlich 25 Kilometer durch die Nacht nach Meran laufen können, oder?

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