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Eindrücke aus Shanghai

Eine Momentaufnahme aus einer der spannendsten Metropolen unserer Zeit

Shanghai ist eine Stadt, die nicht ohne weiteres fassbar ist. Jedenfalls nicht auf die Art und Weise, wie man eine beliebige Stadt normalerweise erfasst, mit Fußgängerzone hier und dieser Brücke da und jener Kreuzung dort. Die Metropole mit über 23 Millionen Einwohnern sprengt in ihren Dimensionen schlichtweg die Vorstellungskraft und Wahrnehmungsfähigkeit vieler Besucher und lässt eine Stadt wie Berlin wie ein Provinznest aus dem Mittelalter aussehen. Eindrücke aus Shanghai sind zudem stets eine Momentaufnahme, denn die Gegebenheiten ändern sich wohl nirgendwo auf der Welt schneller als hier.

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Blick von Word Trade Center (Bild: MaSan)

Kontraste
Beim Anflug auf den Shanghaier Flughafen Hongqiao kann man sie von oben sehen. Man ist überwältigt, und das nicht unbedingt im positiven Sinne, von den Wäldern aus den immer gleichen sich aneinanderreihenden Wohnhochhäusern aus Beton und Stahl. Soweit das Auge reicht, kilometerlange Korridore bildende anonyme Baumasse, in unfassbaren Dimensionen. Ab und zu sieht man dann eines der alten Hutongs, kleine unregelmäßige Architekturen mit engen Gassen, die früher ganze chinesische Städte definierten. Auch diese letzten Teile Historie werden bald verschwunden sein, aus dieser riesigen Stadt. Kleine Einfamilienhäuser sieht man auch, schön aneinandergereiht, mit kleinen Gärten, in quadratischen Blocks. Westlich anmuten sollen sie, doch wirken sie surreal in dieser feindlichen Umgebung. Alternierend mit den in ebenfalls in Blöcke gezwängten Hochhäusern bilden Sie ein großes weites, nichts sagendes und nichts bedeutendes Vorstadtszenario, und man ist froh, diesen Teil der Stadt nur überfliegen zu müssen.

Doch dann raubt einem Shanghai den Atem. Mehrgeschossige Stadtautobahnen fressen sich durch das Häusermeer. Fünf, sechs, gar sieben Straßen liegen übereinander und so manche führt nur wenige Zentimeter an den Wänden von Wohnhäusern vorbei. Aus dem Fenster des Busses blickend erhascht man sie dann manchmal, die einen Pyjama tragenden Shanghaier, an deren Existenz man erst dann glaubt, wenn man Sie wirklich sieht. Den Bund entlang gehend mit seinen alten französischen Villen und der die Nacht animierenden leuchtenden Skyline fühlt man sich angekommen in einer Weltstadt. Der Oriental Pearl Tower lockt einem auf die andere Flussseite des Huangpu, der daneben stehende Jin Mao Tower verleitet einem endgültig zum Stehenbleiben, und beim Anblick des World Trade Centers kann einem schon mal ein Schauer über den Rücken laufen. Zehn Meter pro Sekunde rast der Fahrstuhl hinauf in den 54 Stock des Jin Mao Towers. Bevor sich die Tür fast geräuschlos öffnet, hört man schon den Flügel, den Kontrabass und ein dezentes Singen. Die Musik ist wie gemacht für diesen Ort, für diese Bar, und begleitet den Blick hinaus auf ein leuchtendes wunderschönes Meer aus Millionen von kleinen Lichtern. Mit einem Glas Bombay Gin Tonic, wie sich das hier gehört, taucht man ein in das das Lebensgefühl einer tollen Stadt. Willkommen in Shanghai.

Ein kleiner Bonsai
Die Stadt hat sich Moderne verschrieben und Altes hat hier keinen Platz. Nähert man sich der von Wohnhochhäusern in die Zange genommenen letzten Restes der Altstadt, hat man das Gefühl, dass es auch damit bald vorbei ist. Unser Verständnis, Altes um jeden Preis zu erhalten, gibt es hier nicht. Massen drängen sich durch die engen Gassen und vergnügt werfen sich die Chinesen hinein in dieses Treiben. Es ist nicht die Umgebung oder dessen Flair, so könnte man den Verdacht haben, die einen Chinesen anzieht, sondern ausschließlich das, was in einer Umgebung stattfindet, darin passiert. So wird es wohl keinen stören, wenn diese alten Straßen auf immer verschwinden würden, solange hier nur etwas Interessantes stattfindet.

Die Yuyuan-Gärten inmitten der Altstadt sind wie gemacht für den Regen an diesem Tag. Die Fabelwesen auf den unzähligen Giebeln der kleinen Pavillons sind so präsent vor dem grauen Himmel. Sie bilden rührende und fürchterliche Szenen zugleich und jeden Moment, denkt man, geht das Schauspiel weiter. Leise plätschert das Wasser in die Teiche und hier und da hört man die Klänge eines sachte vom Wind gestreichelten Windspiels. Rote Lampions tanzen sanft im Wind und bilden eine anmutende Komposition zusammen mit den weißen Mauern, den grünen Bäumen und dem dunklen Holz. Diffuses Licht prägt das Innere der Pavillons. Dunkel ist dieser Raum, oder ist er hell? Man erahnt das Äußere durch das weiße Glas und dem davorliegenden Muster aus fein geschnitztem Holz. Flüchtige Schatten bilden sich und verschwinden, und alle Geräusche scheinen auf einmal so weit weg zu sein. Ein kleiner Bonsai steht da, auf einem kleinen Tisch, hunderte Jahre alt, und man erahnt nun, das die schützende Hülle im gebührt und ihm allein. Erhaben steht er da, und selbst im Angesicht einer sich im Zeitraffer wandelnden erbarmungslosen Umwelt bietet dieses kleine Wesen voller Trotz die Stirn. Wieder in der Altstadt holt einem der Menschenstrom schnell wieder in die Gegenwart zurück. Inmitten eines großen Teiches steht ein zweigeschossiges Teehaus, dass man nur über eine Zickzackbrücke erreichen kann. So ist dieses stolze Gebäude von Dämonen geschützt, die glücklicherweise nur geradeaus gehen können. Durch getrübtes Glas sieht man alte Shanghaier mit schönen Anzügen und Kleidern in Seelenruhe ihren Cha trinken, und wie der kleine Bonsai ihr Terrain gegen den sie umkreisenden, fotografierenden Touristenstrom, gegen die polternde Moderne verteidigen.

Gestern und heute
Im Lampenschein der Laterne kann man den Schriftzug noch ganz wage erkennen. Jazz & Blues House steht da in halbkreisförmiger Schrift über einer schönen Eingangstür aus Holz mitten in der französischen Konzessionszone. Doch die Tür ist geschlossen und wird sich auch nicht mehr öffnen. Die Phantasie hat es leicht, diesen Ort mit Leben zu bespielen und man hört die Gläser und den Jazz und sieht Motorräder und schöne Menschen in tollen Kleidern. Der sechs Monate alte Reiseführer erweist sich kurioserweise nicht nur hier als veraltet. Auch die legendäre Facebar, ausgestattet von Philippe Starck in einer wunderschönen alten französischen Villa, gibt es nicht mehr. Ein Bauzaun, Kräne, Geschichte. Wie kann man nur, verdammt noch mal wie können die nur, fragt man sich. Es stellt sich später heraus, dass diese Highlights der Nacht an anderer Stelle wiedereröffnet haben. So, wie sich die Stadt ständig neu erfindet, tun das eben auch ihre Bars und ihre Menschen. Nichts verschwindet wirklich, es transformiert sich, erfindet sich neu.

Der JZ Club konnte sich offensichtlich bis in den heutigen Tag hinein retten. Man betritt den dunklen Raum durch eine schmale Treppe. Stehlampen werfen einen Lichtkegel auf die Cocktailkarte. Ansonsten ist außer der Theke alles angenehm dunkel, so wie es sich in einer Jazz-Bar eben gehört. Hier und da ein Bild von Legenden, deren Weg sie irgendwann durch diese Stadt geführt hat. Der Raum ist gefüllt von Sprachen aus vielen Ländern. Sie klingen vertraut und man vergisst, dass man sich noch in China befindet. Die Band fängt an, erst das Klavier, dann der Bassist, Saxophon und schließlich Gesang. wunderbarer Jazz wie gemacht für die Stadt, für diese Bar. Shanghai hat viele solcher Perlen, die es noch zu entdecken gilt. Nur, zu viel Zeit sollte man sich dabei nicht lassen.

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Ma San

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